Halb zehn in Deutschland. Bochum - Werne, ein kleines verkommenes Viertel mit einem duzend Bäckerein, einem Kiosk und dem einzigen Lichtblick der Gegend, Aldi. Wer in dieser Ecke schon mal war, wird sich in Harlem sicher fühlen, nur die Harten der Harten, die Stärksten der Stärksten, die real Hustler wandeln dort herum und kennzeichnen ihr Territorium.
Genau in diesem Hotspot befindet sich die Oberstufe der Willy - Brandt – Gesamtschule, eine kleine Festung getarnt von vielen Bäumen und Büschen, doch ein Ton drängt durch, ein schrilles, ohrenbetäubendes Geräusch, worauf einige jedoch 45 min lang sehnlichst warten, die Schelle ruft zur Pause!
Und nun kommen die Stars dieser Story, die Elite des 13. Jahrgangs, die Rohdiamanten auf dem Weg zum Glanz, doch zunächst auf dem Weg nach draußen. Die Klassenräume leeren sich in Sekundenschnelle, bis auf eins, zwei Lehrerlieblinge die sich durch Schleimattacken eine bessere Note erhoffen. Einige stürmen die Bäckerein und vergessen ihre Diät, die sie am vorigen Tag begonnen hatten, andere verschwinden hinter den Türen von Aldi um dort ihren Alkoholentzug mit Apfelschorle oder Eistee Pfirsich abzudecken und wieder andere holen sich die roten Airwaves am Kiosk.
Nachdem jeder sein Taschengeld gespendet hat, bewegen sie sich mit ihren „Lunchpaketen“ Richtung Bunker (Schule).
Auf dem Weg dorthin schmiedet man schon Zukunftspläne, wie: „Haste Englisch? Lass ma abschreiben!“ oder „Ach, ich mach nach der 3. blau! Kommste mit nach McDonalds?“. Auf den Parkplätzen des Schulhofs angekommen, stellt sich nun die große Frage: „Was nun?“. Einige gehen zum Vertretungsplan, in der Hoffnung, dass die Lehrer, die man kurz vorher noch gegrüßt hat, plötzlich fehlen, andere stellen sich draußen in die Kälte und zünden sich mit zittrigen Händen eine Fluppe an, doch der Großteil der Stufe findet ihr Plätzchen in unserer Lounge.
Der Aufenthaltsraum befindet sich mit dem Lehrerzimmer in einem kleinen versifften Pavillon neben dem Schulgebäude.
Die Innenausstattung erinnert an eine Mixtur von griechischer Antike, Kirche und runtergekommener Bar, wie man sie aus dem Wilden Westen kannte. Die aus Massivholz angefertigten, kalten Bänke laden zu einem gemütlichen Miteinander mit den Schulkollegen ein und der kaputte Kickertisch, auf dem die Spieler mit ihren Seitenscheiteln und Bärtchen stark an Adolf Hitler erinnern, bietet eine aktive Pausengestaltung.
Das warme und gemütliche Ambiente lädt die Schüler und Schülerinnen zum chillen und relaxen ein, wozu die Elite natürlich nicht Nein sagen kann. Vor der Lounge wird zunächst geraucht und abgeklärt wer von wem was abschreibt und anschließend begibt man sich ins mollig Warme, wo die fette Party schon steigt. Ein von Fabian Kellermann gespendeter, kaputter CD - Player versüßte den Anwesenden den Aufenthalt mit ganzen drei Radiosendern, doch einer genügte und zwar Einslive, um die Mädels zum „Bootyshakin’“ zu bringen.
Ja, ja, das Tanzen und die Musik waren bei schon ein sehr wichtiges Thema und wie soll es anders sein, wurde bei uns natürlich nur Hip Hop und R’n’B gespielt....und ab und zu Techno, Schranz oder Gabber, um für etwas Abwechslung zu sorgen.
Nun saß man dort, unterhielt sich, verbreitete Gerüchte und wartete auf „sein Lied!“. Ja richtig, jeder und jede hatte nämlich sein oder ihr Lied.....als würden Michael Jackson, Jennifer Lopez oder Tupac ein Lied für uns arme Würstchen komponieren und singen....aber, nun ja, jeder hatte halt „sein Lied!“ und wurde eines dieser Lieder mal abgespielt begann die Hysterie: vor allem die Ladys begannen zu kreischen, zu springen und schrieen in einem periodischen Abstand von 5 sek: „DAS IST MEIN LIED!!!“
Als wär dies noch nicht alles sprinteten sie in weniger als einer Sekunde zum Radio, drehten die Lautstärke voll auf, sangen lauthals mit und zeigten ihre tänzerischen Leistungen.
Es war definitiv ein amüsantes Konzert, welches jedoch meistens von Fabian und seiner „minderjährigen Gang“ unterbrochen wurde, indem sie den Sender wechselten und plötzlich ein dramatisches Orchestra, die Wildecker Herzbuben oder ein von Mozart komponiertes Stück ertönte.
Ab dann hieß es: „FIGHT!“ und es wurde mit allen Mitteln um das Radio gekämpft....den die Mädels natürlich immer gewannen ;) Außer diesen Ausschweifungen fanden bei uns natürlich auch richtige „Dance Battles“ statt. So erinnern wir uns an einen glorreichen Moment in dem es hieß: Demet vs Genia. Sie tanzten um die Ehre der Frauen und um die der Männer und sie tanzten um den Titel: „Best Dancer in the Aufenthaltsraum“. So trafen sich die Crews am Ende der Pause, feuerten Ike und Tina an und „dissten“ ihre Rivalen.
„Komm schon du Feigling, ich zeig dir wer besser tanzen kann!“ provokativ und selbstsicher eröffnete Demet ihren Auftritt. Sie stellte sich in die Mitte, die Musik begann und dann hieß es: „You got served!“.
Mit jedem Hüftschwung Demets wurde Genia immer blasser und traute sich nicht mehr uns seine Moves zu präsentieren.
Demet verließ den Aufenthaltsraum als Siegerin und Genia litt die ganze darauffolgende Woche unter den Buh- und Pfuirufen seiner Crew. Kinder können sehr gemein sein!
Diese exzessiven Hip Hop Partys gehörten zur alltäglichen Pausengestaltung, genauso wie die Techno Partys von Niko und Bernhard, die durch ihr loses Mundwerk, ihre fetten Rhymes und ihre heißen Dancemoves eine riesen Fangemeinde erlangten. Tanzen konnte man nicht wirklich dazu, lediglich zuckende Bewegungen durchführen, die an breakende epileptische Wildschweinchen erinnern, doch die Talente, Niko und Bernhard, schafften es trotzdem ihre Fans mit einer vollständigen Choreographie zu ihren Techno - Beats zu fesseln.
Wie gesagt, Tanzen gehörte nun mal zu unseren größten Hobbys und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir uns alle bei Popstars 5 wiedertreffen werden. Es gab schon sehr viele lustige Momente in unserer Lounge und viele, die meisten...ach was sag ich, all diese Momente beinhalteten einen Kampf. Schon zu Beginn der 11. Jahrgangsstufe wurde der erste Kampf eröffnet: Der Kampf um den Kickertisch!
Während den Unterrichtsstunden wippte man nervös mit den Beinen, schaute jede Minute auf die Uhr, vergewisserte man sich beim Nachbarn ob die Uhrzeit richtig ist und sah sich um wer sich als Konkurrent im Wettlauf zum Kickertisch herausstellen könnte. Etwa 5 min Unterrichtsschluss packte man seine Sachen zusammen und machte sich bereit zum Sprint und mit dem Schellen stürmte man hysterisch aus den Klassenräumen und versuchte einen der begehrten Plätze am Kickertisch zu ergattern. Natürlich verlief dies nicht so reibungslos, Höflichkeiten wie „Ladys first“ oder „Ach, spiel du, ich kann warten“ fanden bei uns keinen Platz. Es wurde geschubst, gedrängelt und die Mädchen wurden rücksichtslos hochgehoben und in irgendeine Ecke geworfen, um einen kleinen Vorsprung zu erhalten. Jede Pause, jede Freistunde und sogar nach dem Unterricht wurde gekickert und jedes erzielte Tor wurde durch einen herzhaften Schrei unserer Kickergöttin, Nese, besiegelt. Doch umso älter wir wurden, desto mehr distanzierten wir uns vom Kickertisch und nährten uns unseren Eddings.
Uns packte eine künstlerische Phase und der weiße Tisch im Aufenthaltsraum schrie nach Verschönerung, somit wurden Lebensweisheiten, Symbole und Karikaturen festgehalten, die die leicht sadistische Ader der Künstler wiederspiegelte. Fight Nr.2 begann und man „battlete“ sich mit hübschen Bildchen, die Mr. Proper jedoch später eliminierte.
So ging unsere kleinen Kämpfe im Aufenthaltsraum also weiter, ganze Buchbänder könnten darüber berichten und unsere geistige Verstörtheit darlegen, doch dieser kleine Text müsste reichen um euch einen kleinen Einblick vom Schulalltag von uns Asiturienten zu gewähren.

B. J., 29/01/06